Internet und Gesellschaft in Deutschland – Es geht um Aufklärung
Wenn einem Volksvertreter bzw. einer Politikerin oder einem Politiker Zitate oder Handlungen rund um das Internet abverlangt werden, dann geht das aus Sicht der Netzgemeinde, also der Menschen, die ihr Leben und ihre Arbeit mit dem Internet verbringen, meist nach hinten los. Auch wenn aus politischer Sicht ehrenhafte Ziele verfolgt werden. Das ist ärgerlich, schon weil sie Kraft ihres Amtes in der Lage sein sollten, sich zu informieren oder entsprechende Kompetenzen mit an einen Tisch zu holen. Aber der Reihe nach.
Ursula von der Leyens Vorstoß zur Sperrung von Webseiten mit kinderpornographischem Inhalt ging im Jahr 2009 fulminant den Bach runter, als von IT-Fachpresse und Fachverbänden, Bürgerrechtlern und sogar Missbrauchsopfern die Risiken und Nebenwirkungen des Zugangserschwerungsgesetzes offenbar gemacht wurden. Ein solches Gesetzt schadet mehr, als es nützen würde, so stellte sich alsbald auch in der öffentlichen Meinung heraus. Hätte man sich mit etwas Sachverstand mit dem Thema im Vorfeld auseinandergesetzt, die schlechte Presse wäre von der Leyen und so manch anderem Politiker erspart geblieben. Allerdings hätten wir auch nicht gewusst, wie stark die Netzgemeinde in Deutschland bereits damals war.
Weiterhin hält sich die Floskel in der Welt, dass das Internet ein „rechtsfeier Raum“ sei und es besonders mit Dingen wie dem schon genannten Zugangserschwerungsgesetzes oder der Vorratsdatenspeicherung und ähnlichem reguliert werden müsste. Dass im Netz dieselben Gesetzte wie in der stofflichen Welt gelten und auch angewandt werden (können), wird dagegen nicht so oft proklamiert.
Und immer wieder tauchen Politiker auf, die mit dem Wort „Browser“ nicht umgehen können und bei Konfrontation mit selbigen, in Erklärungsnot geraten. Zuletzt schaffte es Angela Merkel im Juni 2013 mit ihrem Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland“ im Rahmen des Obama-Besuchs für Heiterkeit in der Netzwelt.
Es gibt unzählige Beispiele für dieses Phänomen, dass sich im Großen und Ganzen mit Ausdrücken wie „digitaler Graben“ oder „digitale Kluft“ beschreiben lässt. Auf der einen Seite haben wir die „digitalen Eingeborenen“ (oder von mir aus auch die „digital sozialisierten“), Menschen also, die sich wie selbstverständlich im Internet bewegen. Wie ein Extremkletterer in einer Steilwand kennen sie sich selbst und die möglichen Gefahren ihres tuns, aber auch den Nutzen und Belohnungen ihrer Aktivitäten.
Auf der anderen Seite haben wir die Gruppe der „digitalen Immigranten“, die all dem (dem Internet oder vielleicht auch Extremklettern) Unverständnis oder Desinteresse entgegenbringen und sich mit den digitalen Themen nur widerwillig bis skeptisch auseinandersetzen. Und es scheint aus digitaler Sicht so, als würden unsere Volksvertreter per se zur Gruppe der digitalen Immigranten gehören. Zwar werden Fähigkeiten und Kompetenzen von Politiker generell aus allen Ecken der Gesellschaft pauschal in Frage gestellt, aber das ist bei den Netz- und Technikkompetenzen noch mal gesondert und auch medienwirksamer der Fall. Das ist ärgerlich, schon weil Volksvertreter in der Lage sein sollten, Umwälzungen und Veränderungen in der Gesellschaft zumindest erahnen zu können. Und die streckenweise intensive Nutzung des Internets würde ich zu den großen Umwälzungen der Gegenwart zählen, neben so Geschichten wie Klimawandel.
Da jammern Tadeln auf Dauer nichts bringt hat sich der Digitale Gesellschaft e. V. dazu berufen gefühlt, eine Broschüre für PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen zu entwickeln, die quasi das Internet erklärt. Das ist gut und richtig, allerdings wird an den Symptomen gedoktort. Auch wenn die Wissenslücken im Parlament im netzpolitischen Alltag oftmals eklatant wirken, so liegt der Druck der so auf PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen ausgeübt wird, sich doch bitte zu informieren, vermutlich im homöopathischen Bereich, verglichen mit den anliegen ausgewachsener Lobbyorganisationen und großen etablierten Wirtschaftsverbänden. Da die Agenda in der Politik gerne von Geld und gesellschaftlicher Relevanz geprägt ist, muss möglicherweise an anderen Hebeln gespielt werden.
Die InitiativeD21 macht sich seit 1999 für eine starke digitale Gesellschaft stark und versucht die digitale Spaltung in Deutschland zu verhindern. Neben diesem heeren Ziel untersucht die Initiative auch regelmäßig den Zustand im Land. Das interessante Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2012 lautet, dass sich die digitale Gesellschaft bei uns in sechs Nutzertypen unterteilen lässt. Diese sind: Häuslicher Gelegenheitsnutzer, Vorsichtiger Pragmatiker, Außenstehender Skeptiker, Smarter Mobilist, Reflektierter Profi und Passionierter Onliner. Noch interessanter ist, dass ca. 65% unserer Gesellschaft aus Gelegenheitsnutzer, Pragmatikern und Skeptikern bestehen. Hält man sich das vor Augen, so fällt es nicht mehr ganz so leicht, über die Netzkompetenzen unserer Politikerinnen und Politiker zu schmunzeln, vielmehr repräsentieren sie recht gut die Mehrheit und damit eben die gesellschaftliche Relevanz in unserem Land.
Der Haken an der Geschichte ist, dass in der heuten Zeit viele Weichen gestellt und Entscheidungen gemacht werden, die unser digitales gesellschaftliches Zusammenleben betreffen. Es gibt viel Wichtiges und Richtiges aus Sicht der „passionierten Onliner“ und „smarten Mobilisten“ dazu zu sagen, allerdings haben diese Gruppierungen weder eine relevante Lobby, noch eine breite Mehrheit in der Gesellschaft. Und da wären wir am Kern der Sache: Für den Kampf gegen einen Lebensmittelskandal oder eine krieselnde Automobilwirtschaft hat man schnell das volle Verständnis des ganzen Landes zusammen. Niemand will schlechtes Essen konsumieren oder aufs Auto verzichten (obwohl das ja gerade im Umbruch ist, auch so ein gesellschaftlicher Wandel). Aber was ist mit einem schlechten und krieselden Internet? Wie schmeckt uns das? Wie bewegen wir uns dann da vorwärts? Wenn es dazu in der Bevölkerung kein gemeinsames Verständnis gibt, wie soll sich ein solches dann in der Politik bilden?
Aufklärung der Politik: ja, natürlich! Aufklärung in der Gesellschaft: fast noch wichtiger!